"Man müsste dazu übergehen, Menschen gegen Liebe zu impfen wie gegen Pocken..."

Graf Wronski wirft die Schönheit von Anna Karenina aus seiner vorgezeichneten Bahn. Sie aber – bereits verheiratet – sieht in ihm die Erfüllung all ihrer Liebesträume. Zwischen aller Leidenschaft wächst Annas unerfüllte Sehnsucht: "Wenn er nur aus Liebenswürdigkeit gut und zärtlich zu mir ist, aber das fehlt, wonach es mich verlangt, dann ist das tausendmal schlimmer als Hass, es ist die Hölle."

Aus dieser Hölle führt für sie nur der Weg in den Tod...

Tolstoi stellt in "Anna Karenina" neben die Gefühle seines berühmten Roman-Liebespaares andere Beziehungs-Modelle, von der bedingungslosen, überschwänglich utopischen Schwärmerei bis zur resignierten Gefühlskälte. "Was bleibt, ist der Wind, in den wir uns hängen am Ende eines langen Tages", resümiert Annas Bruder, der glaubt, es lohne sich, für die Momente des seligen Rausches weiter zu existieren.

Armin Petras, Regisseur, Dramatiker und bis 2018 Intendant am Stuttgarter Schauspiel, hat Tolstois Werk über Liebe und Familie, Religion und Karriere, Freiheit und Leidenschaft konsequent polarisierend zu einer Bühnenfassung verdichtet, die dazu anregt, Stellung zu beziehen zur eigenen Liebesfähigkeit, zu Gott und der Welt, zu naiven Visionen oder verpassten Chancen.

Das Leben im Russland des ausgehenden 19. Jahrhunderts unterscheidet sich in vielem grundlegend vom Mitteleuropa des 21. Jahrhunderts. Umso berührender ist es, wie wir uns über die Zeiten hinweg gleich geblieben sind, es immer wieder fertig bringen, uns rigoros zu verletzen, hemmungslos zu träumen und mit unbeantworteten Fragen weiterzuleben.
 


Regie: Marieluise Müller
Ausstattung: Karlheinz Beer
Licht und Ton: Ronald Kropf

Es spielen:
Frank Ambrosius, Jürgen Fickentscher, Birgit Franz, Alix Hofmann, Florian Kolb, Tim Sokollek, Wolfram Ster, Mirjam Theil